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"Ötzi" - der Mann aus dem Eis

“Ötzi”, der Mann aus dem Eis - ungeklärter Mordfall und archäologische Sensation

ein Reisebericht von Dr. Uwe Junker

Copyright aller Fotos: Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it

Am 19. September 2011 jährt sich zum 20. Mal die Entdeckung des Mannes aus dem Eis in den Ötztaler Alpen nahe des Similaungletschers. Das archäologische Museum in Bozen nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, den Besuchern eine multimediale Ausstellung zu präsentieren, die sowohl kriminalistisch-spannend ist, als auch wesentliche neue Erkenntnisse über das Leben unserer Vorfahren vermittelt. Nicht zuletzt dank der neuen dreidimensionalen Rekonstruktion auf der Grundlage aktuellster wissenschaftlicher Erkenntnisse und Verfahren ist Ötzi allgegenwärtig und nimmt uns mit auf eine Reise in unsere eindrucksvolle Vergangenheit.

 

Tisenjoch, Südtirol, an einem Frühsommertag in der Kupferzeit. Ein schlanker, drahtiger Mann ist vom Tal bis auf den Berggrat aufgestiegen. In einer Mulde lässt er sich nieder, um zu rasten, seine rechte Hand ist verletzt. Da trifft ihn aus dem Hinterhalt ein Pfeil, durchschlägt das linke Schulterblatt, bleibt knapp vor der Lunge stecken. Der nun folgende, von starken Schmerzen gekennzeichnete Todeskampf zieht sich über viele Stunden hin, der Mann verblutet.

Ein warmer Spätsommertag um die Mittagszeit Mitte September 1991. Erika und Helmut Simon aus Nürnberg sind im Hochgebirge der Ötztaler Alpen unterwegs, haben einige Stunden zuvor bereits die Finailspitze erklommen. In 3210 m Höhe erspäht Helmut Simon in einer mit Schmelzwasser gefüllten Felsenmulde eine Struktur, die einem menschlichen Körper ähnlich sieht. Neugierig verlässt er den markierten Bergpfad und steht einige Minuten später vor einer gut erhaltenen menschlichen Mumie. „Also Helmut ich weiß nicht, eigentlich fotografiert man Leichen doch nicht einfach so“, will die inzwischen herbeigeeilte Ehefrau ihren Gatten vom Fotografieren abhalten. Doch der lässt sich nicht beirren: „ Sonst glaubt und das doch niemand“ und fängt mit seiner Kamera die ersten Eindrücke des Mannes ein, den heute fast die ganze Welt unter dem Namen „Ötzi“ kennt. Die Geschichte einer archäologischen Sensation beginnt.

Am Fundort

Die Simons melden ihren makabren Fund in der nahe gelegenen Similaunhütte. Sie sind zu aufgewühlt, um wie ursprünglich geplant noch am gleichen Tag wieder ins Tal abzusteigen – erst recht, als sie wahrnehmen, welche Aufregung und hektischen Aktivitäten ihre Entdeckung in der unmittelbaren Umgebung auslöst: Erste Bergungsversuche durch Bergrettung und Alpin-Gendarmerie scheitern, zu fest steckt der Tote im Eis. Erste Zeitungsberichte erscheinen, bevor es dann am vierten Tag endlich gelingt, die Leiche aus der 2-3 m tiefen Felsrinne zu lösen. Ein Gerichtsmediziner ist vor Ort, noch bevor der Tote mit einem Hubschrauber ins Tal geflogen wird, steigen die lokalen Alpin-Matadoren Reinhold Messner und Hans Kammerlander zur Fundstelle auf, geben Interviews, schätzen das Alter des Toten zunächst auf mindestens 500 Jahre.

Reinhold Messner ist indirekt mit verantwortlich für den Namen „Ötzi“, unter dem der Tote aus dem Eis in kurzer Zeit in aller Welt bekannt wird. Denn der Wiener Journalist Karl Wendl sucht für eine gute Story über die „ausgetrocknete und grässlich anzusehende Leiche“ einen etwas „positiveren, lieblichen“ Namen. Er kommt auf „Ötzi“. Und denkt dabei an Reinhold Messner, der 1988 auf seiner „Yeti-Tibet-Expedition“ den Schneemenschen des Himalajas gesucht hat und nun fast vor seiner Haustür dem „Urtiroler“ gegenüber steht. Aus „Ötztal“ und „Jeti“ wird „Ötzi“ – ein Name von dem Wendls Chefredakteur bei der Wiener Arbeiterzeitung zunächst alles andere als begeistert ist.

Ausgeklügelte archäologische und gerichtsmedizinische Methoden bringen in der Folgezeit bis heute immer neue Details über den Mann aus dem Eis und seine Lebensweise ans Tageslicht. Mit der Radiokarbonmethode wird sein Alter bestimmt: Er lebte zwischen 3350 und 3100 v. Chr. Aber wie alt war Ötzi zum Zeitpunkt seines Todes? Ob er schon Großvater war, ist nicht mehr festzustellen. Doch mit Hilfe einer Knochenprobe seines Oberschenkels wird diagnostiziert, dass er etwa 46 Jahre alt gewesen sein muss, als er starb. Unser Knochengewebe wird nämlich ständig ab- und umgebaut und weist in jedem Alter eine charakteristische Struktur auf. Für die Kupferzeit, der Epoche in der er lebte, war Ötzi ein Greis.

Und er hatte Schmerzen dort, wo sie auch uns heute in fortgeschrittenem Alter plagen: im Kreuz und in den Gelenken. Davon zeugen etwa 60 Tätowierungen, die seinen ganzen Körper übersäen. Im Gegensatz zu heutigen Tattoos entstanden sie nicht durch Stiche, sondern durch feine Schnitte. Sie dienten auch nicht als Körperschmuck. Vielmehr sollten sie mittels Durchtrennung feiner Nervenstränge Schmerzen lindern. In der modernen Schmerztherapie hat ein solches Verfahren allerdings keinen Stellenwert mehr. Weiß man doch heute, dass eine so hervorgerufene Schmerzdämpfung nur von begrenzter Dauer ist. Denn der so durchtrennte Nerv beginnt ungerichtet wieder zusammen zu wachsen und Kurzschlussverbindungen mit fremden Nerven einzugehen, was zu einer wahren Explosion von Schmerzen führen kann.

Apropos Kupferzeit: Bis zum September 1991 konnte man sie fast nur anhand von mageren Überresten wie z. B. Skeletten, Gräbern, Grabbeigaben- rekonstruieren. Ötzi aber wurde mitten aus seinem Alltagsleben gerissen und als seltene Feuchtmumie samt Bekleidung und Ausrüstung perfekt konserviert: Haut und Haare, die inneren Organe, ja selbst der Mageninhalt sind vorhanden. Ca. 12 Stunden vor seinem Tod hatte er noch Fleisch und Getreide gegessen. Getreide war zu Ötzis Zeit ein Grundnahrungsmittel, das durch weitere Pflanzen wie Schlehen, Wildäpfel, Pilze, Beeren und Hülsenfrüchte ergänzt wurde. Die Tatsache, dass man in seinem Magen auch winzig kleine Kohle- Stücke fand, ist ein Hinweis darauf, dass er seine letzte Mahlzeit im offenen Feuer garte.

Ötzi trug zwei Birkenrindengefäße bei sich, eines davon nutzte er als Glutbehälter. Die Kohlebrocken wickelte er in frisch gepflückte Spitzahornblätter, die in der Zeit von Juni bis September wachsen. In seinem Darm fand man Hopfenbuchenpollen. Da Pollen indirekt über Nahrung und Atemluft aufgenommen werden und die Hopfenbuche im Juni blüht, kann mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Ötzi im Frühsommer starb.

So ungefähr kann man sich den Mann aus dem Eis vorstellen. Ötzi ist ein homo sapiens sapiens, ein Jetztmensch. In heutigen Kleidern würde er im hektischen Treiben unserer Zeit nicht weiter auffallen. Damals trug er die perfekte Outlook-Ausrüstung für seinen Aufenthalt im Hochgebirge: Knielanger Fellmantel und Fellmütze schützten gegen Wind und Kälte, Beinkleider aus Ziegenfell boten viel Bewegungsfreiheit. Mit viel Liebe zum Detail hat er seine Fußbekleidung gefertigt: Der „Innenschuh“ bestand aus einem Grasnetz mit hineingestopftem Heu als Kälteschutz; robustes Hirschleder bildet „Außenschuh“. Überkreuzte Lederriemen gaben der Sohle „Profil“ und damit eine gewisse Rutschfestigkeit. Körpermaße inklusive seiner Schuhgröße von 38 waren Durchschnittsmaße in der Kupferzeit. Heute allerdings ist die Mumie wiegt die Mumie nur noch 13 kg und ist auf 1,54 m geschrumpft.

Bei einer Temperatur von -6° C und einer Luftfeuchtigkeit von fast 100% liegt Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum unter den gleichen Bedingungen wie auf dem Gletscher – allerdings deutlich besser bewacht. Damit seine Mumie nicht austrocknet, wird sie regelmäßig mit sterilem Wasser besprüht. Dadurch bildet sich auf der Haut eine feine glänzende Eisschicht.

Ötzi starb in der Nähe eines Gletschers zu Beginn einer Klimaveränderung. Es wurde kälter, schnell wuchs die Schneedecke über ihm. Unter luftdurchlässiger Schneedecke und in trockener Atmosphäre wurde seinem Leichnam Wasser entzogen. Erst nach Jahren wurde er von Eis umschlossen. Durch diese Gefriertrocknung konnte er die Zeiten überdauern. In einer Geländemulde liegend blieb er geschützt vor dem Fließen des Gletschers, das ihn zerstückelt und zu Tale transportiert hätte.

Der neue, zwei Meter hohe Bogen aus widerstandsfähigem Eibenholz war un- fertig, frische Pfeile lagen noch ungespitzt am Fundort herum. Ötzis rechte Hand weist eine tiefe Schnittwunde auf, Hinweis auf einen Nahkampf kurz vor seinem Tod. Das Motiv für den Schuss aus dem Hinterhalt liegt bis heute im Dunkeln. Ein Raubüberfall? Eher nicht; denn nichts von der persönlichen Ausrüstung, nicht einmal das Kupferbeil, wurde gestohlen.

Ein Stammeskrieg? Ein persönlicher Konflikt? Ging etwa um eine Schaf- oder Ziegenherde? Noch heute treiben Schnalstaler Bauern ihre Herden über die Staatsgrenze hinweg auf die Ötztaler Hochalmen. Es ist derselbe Übergang, den auch Ötzi auf seinem letzten Weg wählte. Floh er in eine Gegend, die er gut kannte? War er ein Wanderhirte?

Viele offene Fragen werden bleiben. Dennoch hat uns Ötzi ein einmaliges und anrührendes Fenster auf längst vergangene Zeiten geöffnet. Fieberhaft wird an der vollständigen Entschlüsselung seines Genoms gearbeitet. Wer weiß, welche Erkenntnisse uns diese Arbeit noch bringen wird…

Reiseinformationen

Archäologie Museum Bozen
Museumstr. 43
I-39100 Bozen
60311 Frankfurt/Main
Tel.: +39 0471 320114
Fax. : +39 0471 320122

Web: www.oetzi20.it www.iceman.it

Bozen und sein Archäologiemuseum können als Teil einer kulturell und landschaftlich eindrucksvollen einwöchigen Radreise auf dem Etsch-Radweg von Innsbruck nach Bozen bereist werden. Kosten ab ca. 750 € mit Halbpension ohne An- und Abreise

Veranstalter:
EUROBIKE – Eurofun Touristik GmbH
Mühlstraße 20
A-5162 Obertrum
Tel.: +43 (0) 6219 7444
Fax.: +43 (0) 6219 8272
Web: www.eurobike.at
Mail: eurobike@eurobike.at

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